Zurück

HALBÖFFENTLICH
Artikel
Forschung, 2016

… Sie planen Gemein­schafts­räume“ – oft als ‹halb­pri­vate› oder ‹halb­öf­fent­li­che› Zonen bezeich­net, ohne ihre Funk­tio­nen (…) zu Umschrei­ben. …

Kinder kennen keine Unter­schei­dung zwi­schen der Beschaf­fen­heit öffent­li­cher und pri­va­ter Räume: Sie nehmen ihre Umge­bung viel­leicht als schön oder beängs­ti­gend wahr, nicht jedoch als öffent­lich oder privat. Der eigene Garten unter­schei­det sich für Klein­kin­der nur dadurch von einem Park, dass sie ihn schon kennen. Das eigene Wohn­zim­mer wird fremd, sobald fremde Men­schen sich darin befin­den. Ent­spre­chend passen sie ihr Ver­hal­ten dem öffent­li­chen oder pri­va­ten Raum nicht an: Sie legen sich auch im Bus auf den Boden und gehen davon aus, dass der Sand­kas­ten im Park nur ihnen alleine gehört. Die Wahr­neh­mung der Zuge­hö­rig­keit bildet sich mit dem Älter­wer­den heraus und das damit ein­her­ge­hende adäquate Ver­hal­ten wird uns mit der Erzie­hung mit­ge­ge­ben und ist gesell­schaft­li­cher Kon­sens. Unser Ver­hal­ten, unser Auf­tre­ten und unser Äus­se­res passen wir also dem uns umge­ben­den Raum an. Der öffent­li­che Raum dient der Fort­be­we­gung, der Reprä­sen­ta­tion nach Aussen und den Begeg­nun­gen – der pri­vate Raum der Erho­lung und der Unge­zwun­gen­heit.

Zwi­schen diesen beiden Polen – dem Öffent­li­chen und dem Pri­va­ten – gibt es Zwi­schen­stu­fen: Der Begriff «halb­öf­fent­lich», gerne auch in der Abwand­lung ‹halb­pri­vat›, wird in der Archi­tek­tur und im Städ­te­bau infla­tio­när ver­wen­det. Kein Wett­be­werb kommt ohne aus, kaum ein Vor­trag, keine Prä­sen­ta­tion.
‹Halb­öf­fent­lich› – ‹halb­pri­vat›, was heisst das über­haupt? Sind wir als Men­schen nur ‹halb› will­kom­men? Die Begriffe sind, trotz feh­len­der Begriffs­de­fi­ni­tion, aus der Archi­tek­tur- und Städ­te­bau­dis­kus­sion nicht mehr weg zu denken. Woher kommen sie? Was bezeich­nen sie? Und wie werden sie ver­wen­det?

Wann und wie der Begriff ‹halb­öf­fent­lich› in die Archi­tek­tur und Städ­te­bau­dis­kus­sion ein­ge­führt wurde, ist nicht erforscht. Erste Nen­nun­gen tau­chen bereits wäh­rend dem 1. Welt­krieg auf. So beschreibt der Autor H. Behr­mann im Jahr 1915 den ‹hübsch gedach­ten› Rosen­gar­ten in Bern als ‹halb­öf­fent­lich›, da er ‹des Nachts geschlos­sen› sei . Wenige Jahre später macht sich der Archi­tekt und Kunst­his­to­ri­ker Peter Meyer im Jahr 1930 in seinem Arikel zum städ­ti­schen Bau­ge­setz des Kan­tons Zürich Gedan­ken über die Ein­frie­dung ‹halb­öf­fent­li­cher› Vor­gär­ten, die eine ‹nütz­li­che Reserve für eine all­fäl­lige spä­tere Stras­sen­ver­brei­te­rung› sind. Bezeich­net der Begriff zuvor vor­nehm­lich die ‹halb­öf­fent­li­che› Trä­ger­schaft eines Bau­werks- zum Bei­spiel einen staat­lich unter­stüt­zen Bau­trä­ger oder eine Bil­dungs­ein­rich­tung – weitet er sich im Laufe der Zeit auch auf den umge­ben­den Raum aus. 

Nicht nur der Begriff wech­selte seine Bedeu­tun­gen in den letz­ten gut hun­dert Jahren, auch unsere Wahr­neh­mung gegen­über Öffent­lich­keit und Pri­vat­heit änderte sich. Die Indus­tria­li­sie­rung ver­än­derte das Arbeits- und Pri­vat­le­ben, die Ver­häus­li­chung zuvor in der Öffent­lich­keit aus­ge­leb­ter Funk­tio­nen erfuhr einen Schub. Tech­ni­sche Errun­gen­schaf­ten wie Hei­zung, flies­sen­des Kalt- und Warm­was­ser, Elek­tri­fi­zie­rung und Abwas­ser­sys­tem erlaub­ten es brei­ten Bevöl­ke­rungs­schich­ten sich abseits der Arbeits­stätte in den pri­va­ten Raum zurück zu ziehen und ver­än­der­ten die Wahr­neh­mung auf den öffent­li­chen Raum grund­le­gend. Gewisse Tätig­kei­ten wie das Waschen der Klei­dung oder die Kör­per­hy­giene wurden aus dem öffent­li­chen Raum ver­bannt. Die auf­kom­mende Klein­fa­mi­lie führte zusätz­lich zu einer Ver­schie­bung des als Privat wahr­ge­nom­me­nen. Die Tren­nung zwi­schen Wohnen und Arbei­ten und die klare Unter­schei­dung zwi­schen öffent­li­chem, städ­ti­schem Raum und der Woh­nung als pri­va­tem Rück­zugs­ort bewirk­ten eine neue Stadt­struk­tur. Der öffent­li­che Raum wurde ebenso mon­o­funk­tio­nal wie die ihn umge­ben­den Bauten: ruhige Wohn­stras­sen in Wohn­quar­tie­ren, leben­dige Geschäfts­stras­sen in der City, geschwun­gene Aus­fall­stras­sen als Ver­bin­dung.

Der 2. Welt­krieg brachte inso­fern eine Zäsur, als dass die räum­li­che Fas­sung der Strasse auf brei­ter Ebene auf­ge­ge­ben wurde. Die inno­va­ti­ven Kon­zepte der Vor­kriegs­zeit wurden zum Stan­dard. Die flies­sen­den Räume der Moderne wurden auch auf den Stadt­raum ange­wandt und schu­fen Unklar­hei­ten, für die kein Begriff exis­tierte. Ver­ein­facht aus­ge­drückt kam dieser drit­ten Kate­go­rie neben der bebau­ten Fläche und den Ver­kehrs­stras­sen die Auf­gabe zu, einen Abstand zwi­schen den Gebäu­den zu schaf­fen und dadurch die Rea­li­sa­tion der Maxi­men Licht, Luft und Sonne zu ermög­li­chen. Die offe­nen und park­ar­ti­gen Flä­chen mit dem bewusst gesuch­ten Grau­be­reich der Zuge­hö­rig­keit wurden in unzäh­li­gen zeit­ge­nös­si­schen Texten mit den Begrif­fen ‹halb­öf­fent­li­che› Fläche oder ‹halb­öf­fent­li­cher› Raum beschrie­ben. Die ange­strebte ‹Gesun­dung› der Städte und die ‹Durch­grü­nung der Stadt­ge­stalt› führ­ten zu den bekann­ten Gross­sied­lun­gen sowie den nach der Him­mels­rich­tung aus­ge­rich­te­ten Zei­len­bau­ten. Die um die Mitte des 20. Jahr­hun­derts sprung­haft anstei­gende Ver­wen­dung des nie näher defi­nier­ten Begriffs im Kon­text von archi­tek­to­ni­schem und städ­ti­schem Raum kann also durch­aus auch unter dem Gesichts­punkt der Ent­wick­lung der Stadt gele­sen werden. Auch nach der Rück­be­sin­nung auf gefasste urbane Räume und im Zuge der ste­ti­gen Wei­ter­ent­wick­lung der dich­ten funk­ti­ons­ge­misch­ten Stadt ist der Begriff ‹halb­öf­fent­lich› aus der Archi­tek­tur­be­schrei­bung nicht mehr weg­zu­den­ken. Ins­be­son­dere im Kon­text von Wohn- und Bil­dungs­bau­ten wird der Ter­mi­nus sowohl für Innen- wie für Aus­sen­räume ver­wen­det. Bis heute wird ‹halb­öf­fent­lich› sowohl von Archi­tek­ten als Inten­tion des Ent­wurfs als auch von Archi­tek­tur­jour­na­lis­ten deskrip­tiv für Gebau­tes ver­wen­det.

Archi­tek­ten mit den ver­schie­dens­ten ent­wer­fe­ri­schen Hal­tun­gen schrei­ben und spre­chen über ‹halb­öf­fent­li­chen› Raum. Der Begriff wird zur Beschrei­bung von Innen­städ­ten, umge­nutz­ten Indus­trie­area­len, Zwi­schen-Städ­ten, Agglo­me­ra­tio­nen und Dorf­ker­nen ver­wen­det. Er beschreibt Arka­den und Zwi­schen­räume, Vor­plätze und Hin­ter­höfe, Lau­ben­gänge und Dach­ter­ras­sen. Der Begriff macht sich also nicht an einem Raum fest, son­dern beschreibt etwas dar­über hinaus Gehen­des.

Wie kann der Begriff ‹halb­öf­fent­lich› defi­niert werden? Wie ver­wen­den ihn Juris­ten und Psy­cho­lo­gen? Und wie wir Archi­tek­ten?

Im Juris­ti­schen ist die Sache ver­gleichs­weise klar, denn im schwei­ze­ri­schen Recht gibt es keine ‹halb­öf­fent­li­chen› oder ‹halb­pri­va­ten› Flä­chen. Gehört der Grund und Boden dem Staat, ist er als Strasse, Wald oder All­mend für alle zugäng­lich. Gehört er Pri­va­ten oder Insti­tu­tio­nen haben sie, im Rahmen des Geset­zes, dar­über das Ver­fü­ge­recht. Den­noch behan­deln die Rechts­wis­sen­schaf­ten Zwi­schen­stu­fen der Zuge­hö­rig­keit: Zwi­schen dem öffent­li­chen und dem pri­va­tem Eigen­tum gibt es die dritte Kate­go­rie des Gemein­schaft­li­chen, die sich jedoch nicht zwin­gend auf Raum bezie­hen muss. Ein Bei­spiel: Im Gesetz über Stock­werk­ei­gen­tum sind alle besit­zen­den Bewoh­ner Mit­ei­gen­tü­mer des Hauses. Für die Woh­nung wird ein Mit­ei­gen­tums­an­teil mit Son­der­recht ver­ein­bart. Dane­ben gibt es soge­nannte gemein­schaft­li­che Bau­teile, Anla­gen und Ein­rich­tun­gen. Diese umfas­sen neben dem Trep­pen­haus und dem Vor­gar­ten auch gegen­ständ­li­che Werte wie die Hei­zung, die Fas­sade und das Dach. Die Defi­ni­tion ergibt sich aus dem Besitz: Sowohl Gegen­stände als auch Räume werden als gemein­schaft­lich anstelle von ‹halb­öf­fent­lich› bezeich­net. Der Begriff des gemein­schaft­li­chen Raums ist deut­lich weni­ger öffent­lich kon­no­tiert, als der Aus­druck ‹halb­öf­fent­li­cher› Raum. Nur wer Teil der besit­zen­den Gemein­schaft ist, hat einen Teil-Anspruch auf Raum oder Gegen­stand, die Öffent­lich­keit ist aus­ge­schlos­sen.

Wenn­gleich es kein ‹halb­öf­fent­li­ches› Eigen­tum gibt, wird der Begriff von Archi­tek­ten den­noch in diesem Sinne ver­wen­det. So nähert sich eine aus Aus­schrei­bun­gen und Arti­keln abge­lei­tete Defi­ni­tion des Begriffs ‹halb­öf­fent­lich› über den Eigen­tü­mer: Pri­va­ter Raum ist in pri­va­tem Besitz. Er ist nur einer sehr ein­ge­schränk­ten Zahl von Per­so­nen zugäng­lich und nur auf expli­zite Ein­la­dung für Gäste betret­bar. Bei­spiele sind Woh­nun­gen oder Büros aber auch Gärten in Ein­fa­mi­li­en­haus­quar­tie­ren. ‹Halb­pri­va­ter› Raum ist – in dieser Defi­ni­tion – eben­falls in pri­va­tem Besitz jedoch einer grös­se­ren Anzahl Per­so­nen zugäng­lich. Der Besit­zer hat ein Weg­wei­se­recht. Bei­spiele sind Cafés, Läden oder Bank­schal­ter, Klet­ter­hal­len, Tief­ga­ra­gen oder Sport­sta­dien. Der Unter­schied zu ‹halb­öf­fent­li­chem› Raum gibt sich haupt­säch­lich über einen ande­ren Eigen­tü­mer: Der Staat oder anders aus­ge­drückt die All­ge­mein­heit. Ein Museum, ein Bahn­hof, eine Schule sind grund­sätz­lich allen Zugäng­lich, jedoch nicht zu jeder Zeit, nur gegen ein gewis­ses Ent­gelt oder nur einer spe­zi­el­len Bevöl­ke­rungs- oder Alters­gruppe. Öffent­li­cher Raum hin­ge­gen ist für jeden zu jeder Zeit zugäng­lich und es findet keine Aneig­nung statt. Öffent­li­cher Raum ist in der Schweiz in staat­li­chem Besitz und Aus­sen­raum.

Neben der juris­ti­schen gibt es auch eine mög­li­che psy­cho­lo­gi­sche Annä­he­rung an das ‹Halb­öf­fent­li­che›. So rief der Psy­cho­loge Irwin Alt­mann in den 1970er Jahren den Begriff der pri­mä­ren, sekun­dä­ren und öffent­li­chen Ter­ri­to­rien ins Leben. Pri­märe Ter­ri­to­rien sind in stän­di­gem Besitzt einer Person, die auch dar­über ent­schei­den darf, wer wann Zugang dazu hat. Sekun­däre Ter­ri­to­rien werden von einer Per­so­nen­gruppe genutzt und werden wie­der­keh­rend für einen bestimm­ten Zeit­punkt besetzt. Öffent­li­che Ter­ri­to­rien werde nur kurz­zei­tig genutzt und der Benut­zer hat keine exklu­sive Ver­fü­gungs­ge­walt über den Raum. Der Begriff des ‹halb­öf­fent­li­chen› Raumes wird also mit dem des sekun­dä­ren Ter­ri­to­ri­ums über­setzt. Für Archi­tek­ten ist der alter­na­tive Ter­mi­nus nur bedingt brauch­bar: Kein Planer beschreibt seinen Raum als «sekun­dä­res Ter­ri­to­rium». Dieser Aus­druck kann nur deskrip­tiv, nicht als Inten­tion oder ent­wer­fe­risch ver­wen­det werden.

Den­noch ist diese Lese­art auch Grund­lage vieler Beschrei­bun­gen ‹halb­öf­fent­li­chen› Raumes. Der Raum wird nicht über den Eigen­tü­mer son­dern über die Funk­tion und die Benut­zung einer Kate­go­rie zuge­ord­net. Pri­va­ter Raum steht für das Wohn­li­che und wird für das Intime und Per­sön­li­che genutzt. Der Besu­cher passt sich dem Raum an, eine Ein­la­dung in die pri­va­ten Wände, gibt viel von ihren Besit­zern Preis. ‹Halb­öf­fent­li­cher› Raum hin­ge­gen ermög­licht einen unge­zwun­ge­ne­ren Umgang unter Bekann­ten und Freun­den. Für Tref­fen und Gesprä­che gelten hier all­ge­meine Regeln der Laut­stärke, des Abstands und des Ver­hal­tens, die im Pri­va­ten nicht ein­ge­hal­ten werden müssen. Der Raum ist auf eine Weise ver­traut, eine Aneig­nung hin­ge­gen findet nur an Rande statt. Bei­spiele wären Trep­pen­häu­ser in Mehr­fa­mi­li­en­häu­sern aber auch Ver­eins­lo­kale mit beschränk­ter Zugäng­lich­keit. Der öffent­li­che Raum zuletzt dient der Arbeit, dem Konsum und der Inter­ak­tion mit Frem­den. Die Men­schen passen sich an und nehmen keinen unmit­tel­ba­ren Ein­fluss auf den sie umge­ben­den Raum.

Eine letzte Defi­ni­tion ver­steht ‹halb­pri­va­ten› und ‹halb­öf­fent­li­chen› Raumes als Sequenz und als gra­du­el­len Über­gang von Pri­va­tem zu Öffent­li­chem. Ein gemein­sam genutz­ter Innen­hof oder Vor­platz ist in diesem Sinne ein ‹halb­öf­fent­li­cher› Raum, ein Lau­ben­gang als Erschlies­sung meh­re­rer Wohn­ein­hei­ten ein ‹halb­pri­va­ter› Raum. Die Begriffe werden also im Sinne einer raum­hal­ti­gen Grenze genutzt, die – teils schma­ler, teils brei­ter – zwi­schen dem Pri­va­ten und dem Öffent­li­chen liegt. 

Weder aus den zwei fach­frem­den Begrif­fen ‹gemein­schaft­li­ches Eigen­tum› oder ‹sekun­dä­rer Raum› noch über die drei eige­nen Defi­ni­tio­nen, über den Eigen­tü­mer, über die Funk­tion oder als raum­hal­tige Grenze, lassen sich expli­zit archi­tek­to­ni­sche Folgen able­sen. Der Begriff ‹halb­öf­fent­lich› umschreibt also einen Raum, ohne seine Eigen­schaf­ten zu nennen. Warum ist der Begriff ‹halb­öf­fent­lich› in der Ver­wen­dung den­noch grund­sätz­lich posi­tiv kon­no­tiert? Obwohl das Wort halb- gene­rell eher mit min­der­wer­ti­gen Eigen­schaf­ten asso­zi­iert wird, sind der ‹halb­öf­fent­li­che› und der ‹halb­pri­vate› Raum als Begriff nicht nega­tiv besetzt.
Ver­gleicht man den städ­ti­schen Raum mit der Natur, können wir in Bezug auf den ‹halb­öf­fent­li­chen› Raum fol­gende Par­al­lele auf­zei­gen: Neben dem Wald und der Wiese gibt es den Wald­rand oder die Streu­obst­wiese. Diese können zwar nicht die­sel­ben Qua­li­tä­ten und Eigen­schaf­ten auf­wei­sen wie die freie Fläche und der dichte Wald, besit­zen dafür aber die deut­lich reich­hal­ti­gere Arten­viel­falt. Wenden wir diese Glei­chung auf den städ­ti­schen Raum an, können wir fest­stel­len, dass auch im ‹halb­öf­fent­li­chen› Raum nicht alles mög­lich ist, was im Pri­va­ten oder Öffent­li­chen erlaubt und gängig ist. Dafür erlau­ben gute ‹halb­öf­fent­li­che› Räume Inter­ak­tio­nen und Tätig­kei­ten, die weder in der Öffent­lich­keit noch in den pri­va­ten Wänden mach­bar sind. Diese Mög­lich­keits­viel­falt ist es, die den Begriff so weit anwend­bar und das Kon­zept ‹halb­öf­fent­li­chen› Raumes für Archi­tek­ten und Stadt­pla­ner so attrak­tiv macht.

Kri­te­rien guten ‹halb­öf­fent­li­chen› Raumes gibt es viele, das Wich­tigste ist jedoch, dass uns ein guter Raum – ob öffent­lich, ‹halb­öf­fent­lich› oder privat – ver­mit­telt, ob wir dort will­kom­men sind und wie wir uns Ver­hal­ten sollen. Gute ‹halb­öf­fent­li­che› Räume funk­tio­nie­ren ohne Ver­bots­ta­feln, Zäune und Video­über­wa­chung. Die soziale Kon­trolle und die Über­sicht­lich­keit rei­chen aus um miss­lie­bi­ges Ver­hal­ten zu ver­hin­dern, die aus­rei­chende Pri­vat­sphäre und Anony­mi­tät für Bewoh­ner ist nicht desto trotz gewähr­leis­tet. Schwam­mige Zwi­schen­räume, nicht gefasste Rest­stü­cke und leere Vor­plätze müssen wir als Archi­tek­ten und Stadt­pla­ner ver­mei­den. Sie sind auch mit dem Begriff ‹halb­öf­fent­lich› nicht schön zu reden.
Sarah Barth, 1987, hat ihr Stu­dium der Archi­tek­tur an der ETH Zürich im Jahr 2013 abge­schlos­sen. Sie forscht am Insti­tut gta und ist prak­ti­zie­rende Archi­tek­tin in Basel.

1 Schluss­be­richt des Ide­en­wett­be­werbs «Stadt­rand» im Rahmen des «Win­ter­thu­rer Modells Alter», Werk, Heft No 7; 1975

2 Kers­tin Dör­hö­fer ‹Halb­öf­fent­li­cher Raum – eine Meta­pher zur Auf­lö­sung (nicht nur) räum­li­cher Pola­ri­tät›, in: Monika Imbo­den (Hrsg.) ‹Stadt – Raum – Geschlecht: Bei­träge zur Erfor­schung urba­ner Lebens­räume im 19. Und 20. Jahr­hun­dert›, Zürich 2000

3 H. Behr­mann ‹Der Rosen­gar­ten­fried­hof in Bern›, in: Hei­mat­schutz – Das Dach II; Jahr­gang 10, Heft 8, August 2015, S. 125

4 P.Meyer ‹Bau­ge­setz und Gärten› In: Werk, Band 17, Heft 4, 1930, S.122 – 127

5 Exem­pla­risch: F. Spen­ge­lin ‹Gedan­ken zum Woh­nungs­bau› In: Woh­nungs­bau / Con­struc­tion d’habitation / Dwel­ling con­struc­tion, Band 26, Heft 9, 1972 über die Ham­bur­ger Gross­sied­lung Steilshoop

6 ZGB, Art. 712

7 I. Altman ‹Ter­ri­to­rial beha­vior in humans: An ana­ly­sis of the con­cept.› In: C. Pas­talan & D. H. Carson (Hrsg.) ‹Spa­tial beha­vior of older people› Uni­ver­sity of Michi­gan Press 1970

HALBÖFFENTLICH
Artikel
Forschung, 2016

… Sie planen Gemein­schafts­räume“ – oft als ‹halb­pri­vate› oder ‹halb­öf­fent­li­che› Zonen bezeich­net, ohne ihre Funk­tio­nen (…) zu Umschrei­ben. …

Kinder kennen keine Unter­schei­dung zwi­schen der Beschaf­fen­heit öffent­li­cher und pri­va­ter Räume: Sie nehmen ihre Umge­bung viel­leicht als schön oder beängs­ti­gend wahr, nicht jedoch als öffent­lich oder privat. Der eigene Garten unter­schei­det sich für Klein­kin­der nur dadurch von einem Park, dass sie ihn schon kennen. Das eigene Wohn­zim­mer wird fremd, sobald fremde Men­schen sich darin befin­den. Ent­spre­chend passen sie ihr Ver­hal­ten dem öffent­li­chen oder pri­va­ten Raum nicht an: Sie legen sich auch im Bus auf den Boden und gehen davon aus, dass der Sand­kas­ten im Park nur ihnen alleine gehört. Die Wahr­neh­mung der Zuge­hö­rig­keit bildet sich mit dem Älter­wer­den heraus und das damit ein­her­ge­hende adäquate Ver­hal­ten wird uns mit der Erzie­hung mit­ge­ge­ben und ist gesell­schaft­li­cher Kon­sens. Unser Ver­hal­ten, unser Auf­tre­ten und unser Äus­se­res passen wir also dem uns umge­ben­den Raum an. Der öffent­li­che Raum dient der Fort­be­we­gung, der Reprä­sen­ta­tion nach Aussen und den Begeg­nun­gen – der pri­vate Raum der Erho­lung und der Unge­zwun­gen­heit.

Zwi­schen diesen beiden Polen – dem Öffent­li­chen und dem Pri­va­ten – gibt es Zwi­schen­stu­fen: Der Begriff «halb­öf­fent­lich», gerne auch in der Abwand­lung ‹halb­pri­vat›, wird in der Archi­tek­tur und im Städ­te­bau infla­tio­när ver­wen­det. Kein Wett­be­werb kommt ohne aus, kaum ein Vor­trag, keine Prä­sen­ta­tion.
‹Halb­öf­fent­lich› – ‹halb­pri­vat›, was heisst das über­haupt? Sind wir als Men­schen nur ‹halb› will­kom­men? Die Begriffe sind, trotz feh­len­der Begriffs­de­fi­ni­tion, aus der Archi­tek­tur- und Städ­te­bau­dis­kus­sion nicht mehr weg zu denken. Woher kommen sie? Was bezeich­nen sie? Und wie werden sie ver­wen­det?

Wann und wie der Begriff ‹halb­öf­fent­lich› in die Archi­tek­tur und Städ­te­bau­dis­kus­sion ein­ge­führt wurde, ist nicht erforscht. Erste Nen­nun­gen tau­chen bereits wäh­rend dem 1. Welt­krieg auf. So beschreibt der Autor H. Behr­mann im Jahr 1915 den ‹hübsch gedach­ten› Rosen­gar­ten in Bern als ‹halb­öf­fent­lich›, da er ‹des Nachts geschlos­sen› sei . Wenige Jahre später macht sich der Archi­tekt und Kunst­his­to­ri­ker Peter Meyer im Jahr 1930 in seinem Arikel zum städ­ti­schen Bau­ge­setz des Kan­tons Zürich Gedan­ken über die Ein­frie­dung ‹halb­öf­fent­li­cher› Vor­gär­ten, die eine ‹nütz­li­che Reserve für eine all­fäl­lige spä­tere Stras­sen­ver­brei­te­rung› sind. Bezeich­net der Begriff zuvor vor­nehm­lich die ‹halb­öf­fent­li­che› Trä­ger­schaft eines Bau­werks- zum Bei­spiel einen staat­lich unter­stüt­zen Bau­trä­ger oder eine Bil­dungs­ein­rich­tung – weitet er sich im Laufe der Zeit auch auf den umge­ben­den Raum aus. 

Nicht nur der Begriff wech­selte seine Bedeu­tun­gen in den letz­ten gut hun­dert Jahren, auch unsere Wahr­neh­mung gegen­über Öffent­lich­keit und Pri­vat­heit änderte sich. Die Indus­tria­li­sie­rung ver­än­derte das Arbeits- und Pri­vat­le­ben, die Ver­häus­li­chung zuvor in der Öffent­lich­keit aus­ge­leb­ter Funk­tio­nen erfuhr einen Schub. Tech­ni­sche Errun­gen­schaf­ten wie Hei­zung, flies­sen­des Kalt- und Warm­was­ser, Elek­tri­fi­zie­rung und Abwas­ser­sys­tem erlaub­ten es brei­ten Bevöl­ke­rungs­schich­ten sich abseits der Arbeits­stätte in den pri­va­ten Raum zurück zu ziehen und ver­än­der­ten die Wahr­neh­mung auf den öffent­li­chen Raum grund­le­gend. Gewisse Tätig­kei­ten wie das Waschen der Klei­dung oder die Kör­per­hy­giene wurden aus dem öffent­li­chen Raum ver­bannt. Die auf­kom­mende Klein­fa­mi­lie führte zusätz­lich zu einer Ver­schie­bung des als Privat wahr­ge­nom­me­nen. Die Tren­nung zwi­schen Wohnen und Arbei­ten und die klare Unter­schei­dung zwi­schen öffent­li­chem, städ­ti­schem Raum und der Woh­nung als pri­va­tem Rück­zugs­ort bewirk­ten eine neue Stadt­struk­tur. Der öffent­li­che Raum wurde ebenso mon­o­funk­tio­nal wie die ihn umge­ben­den Bauten: ruhige Wohn­stras­sen in Wohn­quar­tie­ren, leben­dige Geschäfts­stras­sen in der City, geschwun­gene Aus­fall­stras­sen als Ver­bin­dung.

Der 2. Welt­krieg brachte inso­fern eine Zäsur, als dass die räum­li­che Fas­sung der Strasse auf brei­ter Ebene auf­ge­ge­ben wurde. Die inno­va­ti­ven Kon­zepte der Vor­kriegs­zeit wurden zum Stan­dard. Die flies­sen­den Räume der Moderne wurden auch auf den Stadt­raum ange­wandt und schu­fen Unklar­hei­ten, für die kein Begriff exis­tierte. Ver­ein­facht aus­ge­drückt kam dieser drit­ten Kate­go­rie neben der bebau­ten Fläche und den Ver­kehrs­stras­sen die Auf­gabe zu, einen Abstand zwi­schen den Gebäu­den zu schaf­fen und dadurch die Rea­li­sa­tion der Maxi­men Licht, Luft und Sonne zu ermög­li­chen. Die offe­nen und park­ar­ti­gen Flä­chen mit dem bewusst gesuch­ten Grau­be­reich der Zuge­hö­rig­keit wurden in unzäh­li­gen zeit­ge­nös­si­schen Texten mit den Begrif­fen ‹halb­öf­fent­li­che› Fläche oder ‹halb­öf­fent­li­cher› Raum beschrie­ben. Die ange­strebte ‹Gesun­dung› der Städte und die ‹Durch­grü­nung der Stadt­ge­stalt› führ­ten zu den bekann­ten Gross­sied­lun­gen sowie den nach der Him­mels­rich­tung aus­ge­rich­te­ten Zei­len­bau­ten. Die um die Mitte des 20. Jahr­hun­derts sprung­haft anstei­gende Ver­wen­dung des nie näher defi­nier­ten Begriffs im Kon­text von archi­tek­to­ni­schem und städ­ti­schem Raum kann also durch­aus auch unter dem Gesichts­punkt der Ent­wick­lung der Stadt gele­sen werden. Auch nach der Rück­be­sin­nung auf gefasste urbane Räume und im Zuge der ste­ti­gen Wei­ter­ent­wick­lung der dich­ten funk­ti­ons­ge­misch­ten Stadt ist der Begriff ‹halb­öf­fent­lich› aus der Archi­tek­tur­be­schrei­bung nicht mehr weg­zu­den­ken. Ins­be­son­dere im Kon­text von Wohn- und Bil­dungs­bau­ten wird der Ter­mi­nus sowohl für Innen- wie für Aus­sen­räume ver­wen­det. Bis heute wird ‹halb­öf­fent­lich› sowohl von Archi­tek­ten als Inten­tion des Ent­wurfs als auch von Archi­tek­tur­jour­na­lis­ten deskrip­tiv für Gebau­tes ver­wen­det.

Archi­tek­ten mit den ver­schie­dens­ten ent­wer­fe­ri­schen Hal­tun­gen schrei­ben und spre­chen über ‹halb­öf­fent­li­chen› Raum. Der Begriff wird zur Beschrei­bung von Innen­städ­ten, umge­nutz­ten Indus­trie­area­len, Zwi­schen-Städ­ten, Agglo­me­ra­tio­nen und Dorf­ker­nen ver­wen­det. Er beschreibt Arka­den und Zwi­schen­räume, Vor­plätze und Hin­ter­höfe, Lau­ben­gänge und Dach­ter­ras­sen. Der Begriff macht sich also nicht an einem Raum fest, son­dern beschreibt etwas dar­über hinaus Gehen­des.

Wie kann der Begriff ‹halb­öf­fent­lich› defi­niert werden? Wie ver­wen­den ihn Juris­ten und Psy­cho­lo­gen? Und wie wir Archi­tek­ten?

Im Juris­ti­schen ist die Sache ver­gleichs­weise klar, denn im schwei­ze­ri­schen Recht gibt es keine ‹halb­öf­fent­li­chen› oder ‹halb­pri­va­ten› Flä­chen. Gehört der Grund und Boden dem Staat, ist er als Strasse, Wald oder All­mend für alle zugäng­lich. Gehört er Pri­va­ten oder Insti­tu­tio­nen haben sie, im Rahmen des Geset­zes, dar­über das Ver­fü­ge­recht. Den­noch behan­deln die Rechts­wis­sen­schaf­ten Zwi­schen­stu­fen der Zuge­hö­rig­keit: Zwi­schen dem öffent­li­chen und dem pri­va­tem Eigen­tum gibt es die dritte Kate­go­rie des Gemein­schaft­li­chen, die sich jedoch nicht zwin­gend auf Raum bezie­hen muss. Ein Bei­spiel: Im Gesetz über Stock­werk­ei­gen­tum sind alle besit­zen­den Bewoh­ner Mit­ei­gen­tü­mer des Hauses. Für die Woh­nung wird ein Mit­ei­gen­tums­an­teil mit Son­der­recht ver­ein­bart. Dane­ben gibt es soge­nannte gemein­schaft­li­che Bau­teile, Anla­gen und Ein­rich­tun­gen. Diese umfas­sen neben dem Trep­pen­haus und dem Vor­gar­ten auch gegen­ständ­li­che Werte wie die Hei­zung, die Fas­sade und das Dach. Die Defi­ni­tion ergibt sich aus dem Besitz: Sowohl Gegen­stände als auch Räume werden als gemein­schaft­lich anstelle von ‹halb­öf­fent­lich› bezeich­net. Der Begriff des gemein­schaft­li­chen Raums ist deut­lich weni­ger öffent­lich kon­no­tiert, als der Aus­druck ‹halb­öf­fent­li­cher› Raum. Nur wer Teil der besit­zen­den Gemein­schaft ist, hat einen Teil-Anspruch auf Raum oder Gegen­stand, die Öffent­lich­keit ist aus­ge­schlos­sen.

Wenn­gleich es kein ‹halb­öf­fent­li­ches› Eigen­tum gibt, wird der Begriff von Archi­tek­ten den­noch in diesem Sinne ver­wen­det. So nähert sich eine aus Aus­schrei­bun­gen und Arti­keln abge­lei­tete Defi­ni­tion des Begriffs ‹halb­öf­fent­lich› über den Eigen­tü­mer: Pri­va­ter Raum ist in pri­va­tem Besitz. Er ist nur einer sehr ein­ge­schränk­ten Zahl von Per­so­nen zugäng­lich und nur auf expli­zite Ein­la­dung für Gäste betret­bar. Bei­spiele sind Woh­nun­gen oder Büros aber auch Gärten in Ein­fa­mi­li­en­haus­quar­tie­ren. ‹Halb­pri­va­ter› Raum ist – in dieser Defi­ni­tion – eben­falls in pri­va­tem Besitz jedoch einer grös­se­ren Anzahl Per­so­nen zugäng­lich. Der Besit­zer hat ein Weg­wei­se­recht. Bei­spiele sind Cafés, Läden oder Bank­schal­ter, Klet­ter­hal­len, Tief­ga­ra­gen oder Sport­sta­dien. Der Unter­schied zu ‹halb­öf­fent­li­chem› Raum gibt sich haupt­säch­lich über einen ande­ren Eigen­tü­mer: Der Staat oder anders aus­ge­drückt die All­ge­mein­heit. Ein Museum, ein Bahn­hof, eine Schule sind grund­sätz­lich allen Zugäng­lich, jedoch nicht zu jeder Zeit, nur gegen ein gewis­ses Ent­gelt oder nur einer spe­zi­el­len Bevöl­ke­rungs- oder Alters­gruppe. Öffent­li­cher Raum hin­ge­gen ist für jeden zu jeder Zeit zugäng­lich und es findet keine Aneig­nung statt. Öffent­li­cher Raum ist in der Schweiz in staat­li­chem Besitz und Aus­sen­raum.

Neben der juris­ti­schen gibt es auch eine mög­li­che psy­cho­lo­gi­sche Annä­he­rung an das ‹Halb­öf­fent­li­che›. So rief der Psy­cho­loge Irwin Alt­mann in den 1970er Jahren den Begriff der pri­mä­ren, sekun­dä­ren und öffent­li­chen Ter­ri­to­rien ins Leben. Pri­märe Ter­ri­to­rien sind in stän­di­gem Besitzt einer Person, die auch dar­über ent­schei­den darf, wer wann Zugang dazu hat. Sekun­däre Ter­ri­to­rien werden von einer Per­so­nen­gruppe genutzt und werden wie­der­keh­rend für einen bestimm­ten Zeit­punkt besetzt. Öffent­li­che Ter­ri­to­rien werde nur kurz­zei­tig genutzt und der Benut­zer hat keine exklu­sive Ver­fü­gungs­ge­walt über den Raum. Der Begriff des ‹halb­öf­fent­li­chen› Raumes wird also mit dem des sekun­dä­ren Ter­ri­to­ri­ums über­setzt. Für Archi­tek­ten ist der alter­na­tive Ter­mi­nus nur bedingt brauch­bar: Kein Planer beschreibt seinen Raum als «sekun­dä­res Ter­ri­to­rium». Dieser Aus­druck kann nur deskrip­tiv, nicht als Inten­tion oder ent­wer­fe­risch ver­wen­det werden.

Den­noch ist diese Lese­art auch Grund­lage vieler Beschrei­bun­gen ‹halb­öf­fent­li­chen› Raumes. Der Raum wird nicht über den Eigen­tü­mer son­dern über die Funk­tion und die Benut­zung einer Kate­go­rie zuge­ord­net. Pri­va­ter Raum steht für das Wohn­li­che und wird für das Intime und Per­sön­li­che genutzt. Der Besu­cher passt sich dem Raum an, eine Ein­la­dung in die pri­va­ten Wände, gibt viel von ihren Besit­zern Preis. ‹Halb­öf­fent­li­cher› Raum hin­ge­gen ermög­licht einen unge­zwun­ge­ne­ren Umgang unter Bekann­ten und Freun­den. Für Tref­fen und Gesprä­che gelten hier all­ge­meine Regeln der Laut­stärke, des Abstands und des Ver­hal­tens, die im Pri­va­ten nicht ein­ge­hal­ten werden müssen. Der Raum ist auf eine Weise ver­traut, eine Aneig­nung hin­ge­gen findet nur an Rande statt. Bei­spiele wären Trep­pen­häu­ser in Mehr­fa­mi­li­en­häu­sern aber auch Ver­eins­lo­kale mit beschränk­ter Zugäng­lich­keit. Der öffent­li­che Raum zuletzt dient der Arbeit, dem Konsum und der Inter­ak­tion mit Frem­den. Die Men­schen passen sich an und nehmen keinen unmit­tel­ba­ren Ein­fluss auf den sie umge­ben­den Raum.

Eine letzte Defi­ni­tion ver­steht ‹halb­pri­va­ten› und ‹halb­öf­fent­li­chen› Raumes als Sequenz und als gra­du­el­len Über­gang von Pri­va­tem zu Öffent­li­chem. Ein gemein­sam genutz­ter Innen­hof oder Vor­platz ist in diesem Sinne ein ‹halb­öf­fent­li­cher› Raum, ein Lau­ben­gang als Erschlies­sung meh­re­rer Wohn­ein­hei­ten ein ‹halb­pri­va­ter› Raum. Die Begriffe werden also im Sinne einer raum­hal­ti­gen Grenze genutzt, die – teils schma­ler, teils brei­ter – zwi­schen dem Pri­va­ten und dem Öffent­li­chen liegt. 

Weder aus den zwei fach­frem­den Begrif­fen ‹gemein­schaft­li­ches Eigen­tum› oder ‹sekun­dä­rer Raum› noch über die drei eige­nen Defi­ni­tio­nen, über den Eigen­tü­mer, über die Funk­tion oder als raum­hal­tige Grenze, lassen sich expli­zit archi­tek­to­ni­sche Folgen able­sen. Der Begriff ‹halb­öf­fent­lich› umschreibt also einen Raum, ohne seine Eigen­schaf­ten zu nennen. Warum ist der Begriff ‹halb­öf­fent­lich› in der Ver­wen­dung den­noch grund­sätz­lich posi­tiv kon­no­tiert? Obwohl das Wort halb- gene­rell eher mit min­der­wer­ti­gen Eigen­schaf­ten asso­zi­iert wird, sind der ‹halb­öf­fent­li­che› und der ‹halb­pri­vate› Raum als Begriff nicht nega­tiv besetzt.
Ver­gleicht man den städ­ti­schen Raum mit der Natur, können wir in Bezug auf den ‹halb­öf­fent­li­chen› Raum fol­gende Par­al­lele auf­zei­gen: Neben dem Wald und der Wiese gibt es den Wald­rand oder die Streu­obst­wiese. Diese können zwar nicht die­sel­ben Qua­li­tä­ten und Eigen­schaf­ten auf­wei­sen wie die freie Fläche und der dichte Wald, besit­zen dafür aber die deut­lich reich­hal­ti­gere Arten­viel­falt. Wenden wir diese Glei­chung auf den städ­ti­schen Raum an, können wir fest­stel­len, dass auch im ‹halb­öf­fent­li­chen› Raum nicht alles mög­lich ist, was im Pri­va­ten oder Öffent­li­chen erlaubt und gängig ist. Dafür erlau­ben gute ‹halb­öf­fent­li­che› Räume Inter­ak­tio­nen und Tätig­kei­ten, die weder in der Öffent­lich­keit noch in den pri­va­ten Wänden mach­bar sind. Diese Mög­lich­keits­viel­falt ist es, die den Begriff so weit anwend­bar und das Kon­zept ‹halb­öf­fent­li­chen› Raumes für Archi­tek­ten und Stadt­pla­ner so attrak­tiv macht.

Kri­te­rien guten ‹halb­öf­fent­li­chen› Raumes gibt es viele, das Wich­tigste ist jedoch, dass uns ein guter Raum – ob öffent­lich, ‹halb­öf­fent­lich› oder privat – ver­mit­telt, ob wir dort will­kom­men sind und wie wir uns Ver­hal­ten sollen. Gute ‹halb­öf­fent­li­che› Räume funk­tio­nie­ren ohne Ver­bots­ta­feln, Zäune und Video­über­wa­chung. Die soziale Kon­trolle und die Über­sicht­lich­keit rei­chen aus um miss­lie­bi­ges Ver­hal­ten zu ver­hin­dern, die aus­rei­chende Pri­vat­sphäre und Anony­mi­tät für Bewoh­ner ist nicht desto trotz gewähr­leis­tet. Schwam­mige Zwi­schen­räume, nicht gefasste Rest­stü­cke und leere Vor­plätze müssen wir als Archi­tek­ten und Stadt­pla­ner ver­mei­den. Sie sind auch mit dem Begriff ‹halb­öf­fent­lich› nicht schön zu reden.
Sarah Barth, 1987, hat ihr Stu­dium der Archi­tek­tur an der ETH Zürich im Jahr 2013 abge­schlos­sen. Sie forscht am Insti­tut gta und ist prak­ti­zie­rende Archi­tek­tin in Basel.

1 Schluss­be­richt des Ide­en­wett­be­werbs «Stadt­rand» im Rahmen des «Win­ter­thu­rer Modells Alter», Werk, Heft No 7; 1975

2 Kers­tin Dör­hö­fer ‹Halb­öf­fent­li­cher Raum – eine Meta­pher zur Auf­lö­sung (nicht nur) räum­li­cher Pola­ri­tät›, in: Monika Imbo­den (Hrsg.) ‹Stadt – Raum – Geschlecht: Bei­träge zur Erfor­schung urba­ner Lebens­räume im 19. Und 20. Jahr­hun­dert›, Zürich 2000

3 H. Behr­mann ‹Der Rosen­gar­ten­fried­hof in Bern›, in: Hei­mat­schutz – Das Dach II; Jahr­gang 10, Heft 8, August 2015, S. 125

4 P.Meyer ‹Bau­ge­setz und Gärten› In: Werk, Band 17, Heft 4, 1930, S.122 – 127

5 Exem­pla­risch: F. Spen­ge­lin ‹Gedan­ken zum Woh­nungs­bau› In: Woh­nungs­bau / Con­struc­tion d’habitation / Dwel­ling con­struc­tion, Band 26, Heft 9, 1972 über die Ham­bur­ger Gross­sied­lung Steilshoop

6 ZGB, Art. 712

7 I. Altman ‹Ter­ri­to­rial beha­vior in humans: An ana­ly­sis of the con­cept.› In: C. Pas­talan & D. H. Carson (Hrsg.) ‹Spa­tial beha­vior of older people› Uni­ver­sity of Michi­gan Press 1970