HALBÖFFENTLICH
… Sie planen „Gemeinschaftsräume“ – oft als ‹halbprivate› oder ‹halböffentliche› Zonen bezeichnet, ohne ihre Funktionen (…) zu Umschreiben. …
Kinder kennen keine Unterscheidung zwischen der Beschaffenheit öffentlicher und privater Räume: Sie nehmen ihre Umgebung vielleicht als schön oder beängstigend wahr, nicht jedoch als öffentlich oder privat. Der eigene Garten unterscheidet sich für Kleinkinder nur dadurch von einem Park, dass sie ihn schon kennen. Das eigene Wohnzimmer wird fremd, sobald fremde Menschen sich darin befinden. Entsprechend passen sie ihr Verhalten dem öffentlichen oder privaten Raum nicht an: Sie legen sich auch im Bus auf den Boden und gehen davon aus, dass der Sandkasten im Park nur ihnen alleine gehört. Die Wahrnehmung der Zugehörigkeit bildet sich mit dem Älterwerden heraus und das damit einhergehende adäquate Verhalten wird uns mit der Erziehung mitgegeben und ist gesellschaftlicher Konsens. Unser Verhalten, unser Auftreten und unser Äusseres passen wir also dem uns umgebenden Raum an. Der öffentliche Raum dient der Fortbewegung, der Repräsentation nach Aussen und den Begegnungen – der private Raum der Erholung und der Ungezwungenheit.
Zwischen diesen beiden Polen – dem Öffentlichen und dem Privaten – gibt es Zwischenstufen: Der Begriff «halböffentlich», gerne auch in der Abwandlung ‹halbprivat›, wird in der Architektur und im Städtebau inflationär verwendet. Kein Wettbewerb kommt ohne aus, kaum ein Vortrag, keine Präsentation.
‹Halböffentlich› – ‹halbprivat›, was heisst das überhaupt? Sind wir als Menschen nur ‹halb› willkommen? Die Begriffe sind, trotz fehlender Begriffsdefinition, aus der Architektur- und Städtebaudiskussion nicht mehr weg zu denken. Woher kommen sie? Was bezeichnen sie? Und wie werden sie verwendet?
Wann und wie der Begriff ‹halböffentlich› in die Architektur und Städtebaudiskussion eingeführt wurde, ist nicht erforscht. Erste Nennungen tauchen bereits während dem 1. Weltkrieg auf. So beschreibt der Autor H. Behrmann im Jahr 1915 den ‹hübsch gedachten› Rosengarten in Bern als ‹halböffentlich›, da er ‹des Nachts geschlossen› sei . Wenige Jahre später macht sich der Architekt und Kunsthistoriker Peter Meyer im Jahr 1930 in seinem Arikel zum städtischen Baugesetz des Kantons Zürich Gedanken über die Einfriedung ‹halböffentlicher› Vorgärten, die eine ‹nützliche Reserve für eine allfällige spätere Strassenverbreiterung› sind. Bezeichnet der Begriff zuvor vornehmlich die ‹halböffentliche› Trägerschaft eines Bauwerks- zum Beispiel einen staatlich unterstützen Bauträger oder eine Bildungseinrichtung – weitet er sich im Laufe der Zeit auch auf den umgebenden Raum aus.
Nicht nur der Begriff wechselte seine Bedeutungen in den letzten gut hundert Jahren, auch unsere Wahrnehmung gegenüber Öffentlichkeit und Privatheit änderte sich. Die Industrialisierung veränderte das Arbeits- und Privatleben, die Verhäuslichung zuvor in der Öffentlichkeit ausgelebter Funktionen erfuhr einen Schub. Technische Errungenschaften wie Heizung, fliessendes Kalt- und Warmwasser, Elektrifizierung und Abwassersystem erlaubten es breiten Bevölkerungsschichten sich abseits der Arbeitsstätte in den privaten Raum zurück zu ziehen und veränderten die Wahrnehmung auf den öffentlichen Raum grundlegend. Gewisse Tätigkeiten wie das Waschen der Kleidung oder die Körperhygiene wurden aus dem öffentlichen Raum verbannt. Die aufkommende Kleinfamilie führte zusätzlich zu einer Verschiebung des als Privat wahrgenommenen. Die Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten und die klare Unterscheidung zwischen öffentlichem, städtischem Raum und der Wohnung als privatem Rückzugsort bewirkten eine neue Stadtstruktur. Der öffentliche Raum wurde ebenso monofunktional wie die ihn umgebenden Bauten: ruhige Wohnstrassen in Wohnquartieren, lebendige Geschäftsstrassen in der City, geschwungene Ausfallstrassen als Verbindung.
Der 2. Weltkrieg brachte insofern eine Zäsur, als dass die räumliche Fassung der Strasse auf breiter Ebene aufgegeben wurde. Die innovativen Konzepte der Vorkriegszeit wurden zum Standard. Die fliessenden Räume der Moderne wurden auch auf den Stadtraum angewandt und schufen Unklarheiten, für die kein Begriff existierte. Vereinfacht ausgedrückt kam dieser dritten Kategorie neben der bebauten Fläche und den Verkehrsstrassen die Aufgabe zu, einen Abstand zwischen den Gebäuden zu schaffen und dadurch die Realisation der Maximen Licht, Luft und Sonne zu ermöglichen. Die offenen und parkartigen Flächen mit dem bewusst gesuchten Graubereich der Zugehörigkeit wurden in unzähligen zeitgenössischen Texten mit den Begriffen ‹halböffentliche› Fläche oder ‹halböffentlicher› Raum beschrieben. Die angestrebte ‹Gesundung› der Städte und die ‹Durchgrünung der Stadtgestalt› führten zu den bekannten Grosssiedlungen sowie den nach der Himmelsrichtung ausgerichteten Zeilenbauten. Die um die Mitte des 20. Jahrhunderts sprunghaft ansteigende Verwendung des nie näher definierten Begriffs im Kontext von architektonischem und städtischem Raum kann also durchaus auch unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung der Stadt gelesen werden. Auch nach der Rückbesinnung auf gefasste urbane Räume und im Zuge der stetigen Weiterentwicklung der dichten funktionsgemischten Stadt ist der Begriff ‹halböffentlich› aus der Architekturbeschreibung nicht mehr wegzudenken. Insbesondere im Kontext von Wohn- und Bildungsbauten wird der Terminus sowohl für Innen- wie für Aussenräume verwendet. Bis heute wird ‹halböffentlich› sowohl von Architekten als Intention des Entwurfs als auch von Architekturjournalisten deskriptiv für Gebautes verwendet.
Architekten mit den verschiedensten entwerferischen Haltungen schreiben und sprechen über ‹halböffentlichen› Raum. Der Begriff wird zur Beschreibung von Innenstädten, umgenutzten Industriearealen, Zwischen-Städten, Agglomerationen und Dorfkernen verwendet. Er beschreibt Arkaden und Zwischenräume, Vorplätze und Hinterhöfe, Laubengänge und Dachterrassen. Der Begriff macht sich also nicht an einem Raum fest, sondern beschreibt etwas darüber hinaus Gehendes.
Wie kann der Begriff ‹halböffentlich› definiert werden? Wie verwenden ihn Juristen und Psychologen? Und wie wir Architekten?
Im Juristischen ist die Sache vergleichsweise klar, denn im schweizerischen Recht gibt es keine ‹halböffentlichen› oder ‹halbprivaten› Flächen. Gehört der Grund und Boden dem Staat, ist er als Strasse, Wald oder Allmend für alle zugänglich. Gehört er Privaten oder Institutionen haben sie, im Rahmen des Gesetzes, darüber das Verfügerecht. Dennoch behandeln die Rechtswissenschaften Zwischenstufen der Zugehörigkeit: Zwischen dem öffentlichen und dem privatem Eigentum gibt es die dritte Kategorie des Gemeinschaftlichen, die sich jedoch nicht zwingend auf Raum beziehen muss. Ein Beispiel: Im Gesetz über Stockwerkeigentum sind alle besitzenden Bewohner Miteigentümer des Hauses. Für die Wohnung wird ein Miteigentumsanteil mit Sonderrecht vereinbart. Daneben gibt es sogenannte gemeinschaftliche Bauteile, Anlagen und Einrichtungen. Diese umfassen neben dem Treppenhaus und dem Vorgarten auch gegenständliche Werte wie die Heizung, die Fassade und das Dach. Die Definition ergibt sich aus dem Besitz: Sowohl Gegenstände als auch Räume werden als gemeinschaftlich anstelle von ‹halböffentlich› bezeichnet. Der Begriff des gemeinschaftlichen Raums ist deutlich weniger öffentlich konnotiert, als der Ausdruck ‹halböffentlicher› Raum. Nur wer Teil der besitzenden Gemeinschaft ist, hat einen Teil-Anspruch auf Raum oder Gegenstand, die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen.
Wenngleich es kein ‹halböffentliches› Eigentum gibt, wird der Begriff von Architekten dennoch in diesem Sinne verwendet. So nähert sich eine aus Ausschreibungen und Artikeln abgeleitete Definition des Begriffs ‹halböffentlich› über den Eigentümer: Privater Raum ist in privatem Besitz. Er ist nur einer sehr eingeschränkten Zahl von Personen zugänglich und nur auf explizite Einladung für Gäste betretbar. Beispiele sind Wohnungen oder Büros aber auch Gärten in Einfamilienhausquartieren. ‹Halbprivater› Raum ist – in dieser Definition – ebenfalls in privatem Besitz jedoch einer grösseren Anzahl Personen zugänglich. Der Besitzer hat ein Wegweiserecht. Beispiele sind Cafés, Läden oder Bankschalter, Kletterhallen, Tiefgaragen oder Sportstadien. Der Unterschied zu ‹halböffentlichem› Raum gibt sich hauptsächlich über einen anderen Eigentümer: Der Staat oder anders ausgedrückt die Allgemeinheit. Ein Museum, ein Bahnhof, eine Schule sind grundsätzlich allen Zugänglich, jedoch nicht zu jeder Zeit, nur gegen ein gewisses Entgelt oder nur einer speziellen Bevölkerungs- oder Altersgruppe. Öffentlicher Raum hingegen ist für jeden zu jeder Zeit zugänglich und es findet keine Aneignung statt. Öffentlicher Raum ist in der Schweiz in staatlichem Besitz und Aussenraum.
Neben der juristischen gibt es auch eine mögliche psychologische Annäherung an das ‹Halböffentliche›. So rief der Psychologe Irwin Altmann in den 1970er Jahren den Begriff der primären, sekundären und öffentlichen Territorien ins Leben. Primäre Territorien sind in ständigem Besitzt einer Person, die auch darüber entscheiden darf, wer wann Zugang dazu hat. Sekundäre Territorien werden von einer Personengruppe genutzt und werden wiederkehrend für einen bestimmten Zeitpunkt besetzt. Öffentliche Territorien werde nur kurzzeitig genutzt und der Benutzer hat keine exklusive Verfügungsgewalt über den Raum. Der Begriff des ‹halböffentlichen› Raumes wird also mit dem des sekundären Territoriums übersetzt. Für Architekten ist der alternative Terminus nur bedingt brauchbar: Kein Planer beschreibt seinen Raum als «sekundäres Territorium». Dieser Ausdruck kann nur deskriptiv, nicht als Intention oder entwerferisch verwendet werden.
Dennoch ist diese Leseart auch Grundlage vieler Beschreibungen ‹halböffentlichen› Raumes. Der Raum wird nicht über den Eigentümer sondern über die Funktion und die Benutzung einer Kategorie zugeordnet. Privater Raum steht für das Wohnliche und wird für das Intime und Persönliche genutzt. Der Besucher passt sich dem Raum an, eine Einladung in die privaten Wände, gibt viel von ihren Besitzern Preis. ‹Halböffentlicher› Raum hingegen ermöglicht einen ungezwungeneren Umgang unter Bekannten und Freunden. Für Treffen und Gespräche gelten hier allgemeine Regeln der Lautstärke, des Abstands und des Verhaltens, die im Privaten nicht eingehalten werden müssen. Der Raum ist auf eine Weise vertraut, eine Aneignung hingegen findet nur an Rande statt. Beispiele wären Treppenhäuser in Mehrfamilienhäusern aber auch Vereinslokale mit beschränkter Zugänglichkeit. Der öffentliche Raum zuletzt dient der Arbeit, dem Konsum und der Interaktion mit Fremden. Die Menschen passen sich an und nehmen keinen unmittelbaren Einfluss auf den sie umgebenden Raum.
Eine letzte Definition versteht ‹halbprivaten› und ‹halböffentlichen› Raumes als Sequenz und als graduellen Übergang von Privatem zu Öffentlichem. Ein gemeinsam genutzter Innenhof oder Vorplatz ist in diesem Sinne ein ‹halböffentlicher› Raum, ein Laubengang als Erschliessung mehrerer Wohneinheiten ein ‹halbprivater› Raum. Die Begriffe werden also im Sinne einer raumhaltigen Grenze genutzt, die – teils schmaler, teils breiter – zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen liegt.
Weder aus den zwei fachfremden Begriffen ‹gemeinschaftliches Eigentum› oder ‹sekundärer Raum› noch über die drei eigenen Definitionen, über den Eigentümer, über die Funktion oder als raumhaltige Grenze, lassen sich explizit architektonische Folgen ablesen. Der Begriff ‹halböffentlich› umschreibt also einen Raum, ohne seine Eigenschaften zu nennen. Warum ist der Begriff ‹halböffentlich› in der Verwendung dennoch grundsätzlich positiv konnotiert? Obwohl das Wort halb- generell eher mit minderwertigen Eigenschaften assoziiert wird, sind der ‹halböffentliche› und der ‹halbprivate› Raum als Begriff nicht negativ besetzt.
Vergleicht man den städtischen Raum mit der Natur, können wir in Bezug auf den ‹halböffentlichen› Raum folgende Parallele aufzeigen: Neben dem Wald und der Wiese gibt es den Waldrand oder die Streuobstwiese. Diese können zwar nicht dieselben Qualitäten und Eigenschaften aufweisen wie die freie Fläche und der dichte Wald, besitzen dafür aber die deutlich reichhaltigere Artenvielfalt. Wenden wir diese Gleichung auf den städtischen Raum an, können wir feststellen, dass auch im ‹halböffentlichen› Raum nicht alles möglich ist, was im Privaten oder Öffentlichen erlaubt und gängig ist. Dafür erlauben gute ‹halböffentliche› Räume Interaktionen und Tätigkeiten, die weder in der Öffentlichkeit noch in den privaten Wänden machbar sind. Diese Möglichkeitsvielfalt ist es, die den Begriff so weit anwendbar und das Konzept ‹halböffentlichen› Raumes für Architekten und Stadtplaner so attraktiv macht.
Kriterien guten ‹halböffentlichen› Raumes gibt es viele, das Wichtigste ist jedoch, dass uns ein guter Raum – ob öffentlich, ‹halböffentlich› oder privat – vermittelt, ob wir dort willkommen sind und wie wir uns Verhalten sollen. Gute ‹halböffentliche› Räume funktionieren ohne Verbotstafeln, Zäune und Videoüberwachung. Die soziale Kontrolle und die Übersichtlichkeit reichen aus um missliebiges Verhalten zu verhindern, die ausreichende Privatsphäre und Anonymität für Bewohner ist nicht desto trotz gewährleistet. Schwammige Zwischenräume, nicht gefasste Reststücke und leere Vorplätze müssen wir als Architekten und Stadtplaner vermeiden. Sie sind auch mit dem Begriff ‹halböffentlich› nicht schön zu reden.
Sarah Barth, 1987, hat ihr Studium der Architektur an der ETH Zürich im Jahr 2013 abgeschlossen. Sie forscht am Institut gta und ist praktizierende Architektin in Basel.
HALBÖFFENTLICH
Artikel
Forschung,
2016
… Sie planen „Gemeinschaftsräume“ – oft als ‹halbprivate› oder ‹halböffentliche› Zonen bezeichnet, ohne ihre Funktionen (…) zu Umschreiben. …
Kinder kennen keine Unterscheidung zwischen der Beschaffenheit öffentlicher und privater Räume: Sie nehmen ihre Umgebung vielleicht als schön oder beängstigend wahr, nicht jedoch als öffentlich oder privat. Der eigene Garten unterscheidet sich für Kleinkinder nur dadurch von einem Park, dass sie ihn schon kennen. Das eigene Wohnzimmer wird fremd, sobald fremde Menschen sich darin befinden. Entsprechend passen sie ihr Verhalten dem öffentlichen oder privaten Raum nicht an: Sie legen sich auch im Bus auf den Boden und gehen davon aus, dass der Sandkasten im Park nur ihnen alleine gehört. Die Wahrnehmung der Zugehörigkeit bildet sich mit dem Älterwerden heraus und das damit einhergehende adäquate Verhalten wird uns mit der Erziehung mitgegeben und ist gesellschaftlicher Konsens. Unser Verhalten, unser Auftreten und unser Äusseres passen wir also dem uns umgebenden Raum an. Der öffentliche Raum dient der Fortbewegung, der Repräsentation nach Aussen und den Begegnungen – der private Raum der Erholung und der Ungezwungenheit.
Zwischen diesen beiden Polen – dem Öffentlichen und dem Privaten – gibt es Zwischenstufen: Der Begriff «halböffentlich», gerne auch in der Abwandlung ‹halbprivat›, wird in der Architektur und im Städtebau inflationär verwendet. Kein Wettbewerb kommt ohne aus, kaum ein Vortrag, keine Präsentation.
‹Halböffentlich› – ‹halbprivat›, was heisst das überhaupt? Sind wir als Menschen nur ‹halb› willkommen? Die Begriffe sind, trotz fehlender Begriffsdefinition, aus der Architektur- und Städtebaudiskussion nicht mehr weg zu denken. Woher kommen sie? Was bezeichnen sie? Und wie werden sie verwendet?
Wann und wie der Begriff ‹halböffentlich› in die Architektur und Städtebaudiskussion eingeführt wurde, ist nicht erforscht. Erste Nennungen tauchen bereits während dem 1. Weltkrieg auf. So beschreibt der Autor H. Behrmann im Jahr 1915 den ‹hübsch gedachten› Rosengarten in Bern als ‹halböffentlich›, da er ‹des Nachts geschlossen› sei . Wenige Jahre später macht sich der Architekt und Kunsthistoriker Peter Meyer im Jahr 1930 in seinem Arikel zum städtischen Baugesetz des Kantons Zürich Gedanken über die Einfriedung ‹halböffentlicher› Vorgärten, die eine ‹nützliche Reserve für eine allfällige spätere Strassenverbreiterung› sind. Bezeichnet der Begriff zuvor vornehmlich die ‹halböffentliche› Trägerschaft eines Bauwerks- zum Beispiel einen staatlich unterstützen Bauträger oder eine Bildungseinrichtung – weitet er sich im Laufe der Zeit auch auf den umgebenden Raum aus.
Nicht nur der Begriff wechselte seine Bedeutungen in den letzten gut hundert Jahren, auch unsere Wahrnehmung gegenüber Öffentlichkeit und Privatheit änderte sich. Die Industrialisierung veränderte das Arbeits- und Privatleben, die Verhäuslichung zuvor in der Öffentlichkeit ausgelebter Funktionen erfuhr einen Schub. Technische Errungenschaften wie Heizung, fliessendes Kalt- und Warmwasser, Elektrifizierung und Abwassersystem erlaubten es breiten Bevölkerungsschichten sich abseits der Arbeitsstätte in den privaten Raum zurück zu ziehen und veränderten die Wahrnehmung auf den öffentlichen Raum grundlegend. Gewisse Tätigkeiten wie das Waschen der Kleidung oder die Körperhygiene wurden aus dem öffentlichen Raum verbannt. Die aufkommende Kleinfamilie führte zusätzlich zu einer Verschiebung des als Privat wahrgenommenen. Die Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten und die klare Unterscheidung zwischen öffentlichem, städtischem Raum und der Wohnung als privatem Rückzugsort bewirkten eine neue Stadtstruktur. Der öffentliche Raum wurde ebenso monofunktional wie die ihn umgebenden Bauten: ruhige Wohnstrassen in Wohnquartieren, lebendige Geschäftsstrassen in der City, geschwungene Ausfallstrassen als Verbindung.
Der 2. Weltkrieg brachte insofern eine Zäsur, als dass die räumliche Fassung der Strasse auf breiter Ebene aufgegeben wurde. Die innovativen Konzepte der Vorkriegszeit wurden zum Standard. Die fliessenden Räume der Moderne wurden auch auf den Stadtraum angewandt und schufen Unklarheiten, für die kein Begriff existierte. Vereinfacht ausgedrückt kam dieser dritten Kategorie neben der bebauten Fläche und den Verkehrsstrassen die Aufgabe zu, einen Abstand zwischen den Gebäuden zu schaffen und dadurch die Realisation der Maximen Licht, Luft und Sonne zu ermöglichen. Die offenen und parkartigen Flächen mit dem bewusst gesuchten Graubereich der Zugehörigkeit wurden in unzähligen zeitgenössischen Texten mit den Begriffen ‹halböffentliche› Fläche oder ‹halböffentlicher› Raum beschrieben. Die angestrebte ‹Gesundung› der Städte und die ‹Durchgrünung der Stadtgestalt› führten zu den bekannten Grosssiedlungen sowie den nach der Himmelsrichtung ausgerichteten Zeilenbauten. Die um die Mitte des 20. Jahrhunderts sprunghaft ansteigende Verwendung des nie näher definierten Begriffs im Kontext von architektonischem und städtischem Raum kann also durchaus auch unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung der Stadt gelesen werden. Auch nach der Rückbesinnung auf gefasste urbane Räume und im Zuge der stetigen Weiterentwicklung der dichten funktionsgemischten Stadt ist der Begriff ‹halböffentlich› aus der Architekturbeschreibung nicht mehr wegzudenken. Insbesondere im Kontext von Wohn- und Bildungsbauten wird der Terminus sowohl für Innen- wie für Aussenräume verwendet. Bis heute wird ‹halböffentlich› sowohl von Architekten als Intention des Entwurfs als auch von Architekturjournalisten deskriptiv für Gebautes verwendet.
Architekten mit den verschiedensten entwerferischen Haltungen schreiben und sprechen über ‹halböffentlichen› Raum. Der Begriff wird zur Beschreibung von Innenstädten, umgenutzten Industriearealen, Zwischen-Städten, Agglomerationen und Dorfkernen verwendet. Er beschreibt Arkaden und Zwischenräume, Vorplätze und Hinterhöfe, Laubengänge und Dachterrassen. Der Begriff macht sich also nicht an einem Raum fest, sondern beschreibt etwas darüber hinaus Gehendes.
Wie kann der Begriff ‹halböffentlich› definiert werden? Wie verwenden ihn Juristen und Psychologen? Und wie wir Architekten?
Im Juristischen ist die Sache vergleichsweise klar, denn im schweizerischen Recht gibt es keine ‹halböffentlichen› oder ‹halbprivaten› Flächen. Gehört der Grund und Boden dem Staat, ist er als Strasse, Wald oder Allmend für alle zugänglich. Gehört er Privaten oder Institutionen haben sie, im Rahmen des Gesetzes, darüber das Verfügerecht. Dennoch behandeln die Rechtswissenschaften Zwischenstufen der Zugehörigkeit: Zwischen dem öffentlichen und dem privatem Eigentum gibt es die dritte Kategorie des Gemeinschaftlichen, die sich jedoch nicht zwingend auf Raum beziehen muss. Ein Beispiel: Im Gesetz über Stockwerkeigentum sind alle besitzenden Bewohner Miteigentümer des Hauses. Für die Wohnung wird ein Miteigentumsanteil mit Sonderrecht vereinbart. Daneben gibt es sogenannte gemeinschaftliche Bauteile, Anlagen und Einrichtungen. Diese umfassen neben dem Treppenhaus und dem Vorgarten auch gegenständliche Werte wie die Heizung, die Fassade und das Dach. Die Definition ergibt sich aus dem Besitz: Sowohl Gegenstände als auch Räume werden als gemeinschaftlich anstelle von ‹halböffentlich› bezeichnet. Der Begriff des gemeinschaftlichen Raums ist deutlich weniger öffentlich konnotiert, als der Ausdruck ‹halböffentlicher› Raum. Nur wer Teil der besitzenden Gemeinschaft ist, hat einen Teil-Anspruch auf Raum oder Gegenstand, die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen.
Wenngleich es kein ‹halböffentliches› Eigentum gibt, wird der Begriff von Architekten dennoch in diesem Sinne verwendet. So nähert sich eine aus Ausschreibungen und Artikeln abgeleitete Definition des Begriffs ‹halböffentlich› über den Eigentümer: Privater Raum ist in privatem Besitz. Er ist nur einer sehr eingeschränkten Zahl von Personen zugänglich und nur auf explizite Einladung für Gäste betretbar. Beispiele sind Wohnungen oder Büros aber auch Gärten in Einfamilienhausquartieren. ‹Halbprivater› Raum ist – in dieser Definition – ebenfalls in privatem Besitz jedoch einer grösseren Anzahl Personen zugänglich. Der Besitzer hat ein Wegweiserecht. Beispiele sind Cafés, Läden oder Bankschalter, Kletterhallen, Tiefgaragen oder Sportstadien. Der Unterschied zu ‹halböffentlichem› Raum gibt sich hauptsächlich über einen anderen Eigentümer: Der Staat oder anders ausgedrückt die Allgemeinheit. Ein Museum, ein Bahnhof, eine Schule sind grundsätzlich allen Zugänglich, jedoch nicht zu jeder Zeit, nur gegen ein gewisses Entgelt oder nur einer speziellen Bevölkerungs- oder Altersgruppe. Öffentlicher Raum hingegen ist für jeden zu jeder Zeit zugänglich und es findet keine Aneignung statt. Öffentlicher Raum ist in der Schweiz in staatlichem Besitz und Aussenraum.
Neben der juristischen gibt es auch eine mögliche psychologische Annäherung an das ‹Halböffentliche›. So rief der Psychologe Irwin Altmann in den 1970er Jahren den Begriff der primären, sekundären und öffentlichen Territorien ins Leben. Primäre Territorien sind in ständigem Besitzt einer Person, die auch darüber entscheiden darf, wer wann Zugang dazu hat. Sekundäre Territorien werden von einer Personengruppe genutzt und werden wiederkehrend für einen bestimmten Zeitpunkt besetzt. Öffentliche Territorien werde nur kurzzeitig genutzt und der Benutzer hat keine exklusive Verfügungsgewalt über den Raum. Der Begriff des ‹halböffentlichen› Raumes wird also mit dem des sekundären Territoriums übersetzt. Für Architekten ist der alternative Terminus nur bedingt brauchbar: Kein Planer beschreibt seinen Raum als «sekundäres Territorium». Dieser Ausdruck kann nur deskriptiv, nicht als Intention oder entwerferisch verwendet werden.
Dennoch ist diese Leseart auch Grundlage vieler Beschreibungen ‹halböffentlichen› Raumes. Der Raum wird nicht über den Eigentümer sondern über die Funktion und die Benutzung einer Kategorie zugeordnet. Privater Raum steht für das Wohnliche und wird für das Intime und Persönliche genutzt. Der Besucher passt sich dem Raum an, eine Einladung in die privaten Wände, gibt viel von ihren Besitzern Preis. ‹Halböffentlicher› Raum hingegen ermöglicht einen ungezwungeneren Umgang unter Bekannten und Freunden. Für Treffen und Gespräche gelten hier allgemeine Regeln der Lautstärke, des Abstands und des Verhaltens, die im Privaten nicht eingehalten werden müssen. Der Raum ist auf eine Weise vertraut, eine Aneignung hingegen findet nur an Rande statt. Beispiele wären Treppenhäuser in Mehrfamilienhäusern aber auch Vereinslokale mit beschränkter Zugänglichkeit. Der öffentliche Raum zuletzt dient der Arbeit, dem Konsum und der Interaktion mit Fremden. Die Menschen passen sich an und nehmen keinen unmittelbaren Einfluss auf den sie umgebenden Raum.
Eine letzte Definition versteht ‹halbprivaten› und ‹halböffentlichen› Raumes als Sequenz und als graduellen Übergang von Privatem zu Öffentlichem. Ein gemeinsam genutzter Innenhof oder Vorplatz ist in diesem Sinne ein ‹halböffentlicher› Raum, ein Laubengang als Erschliessung mehrerer Wohneinheiten ein ‹halbprivater› Raum. Die Begriffe werden also im Sinne einer raumhaltigen Grenze genutzt, die – teils schmaler, teils breiter – zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen liegt.
Weder aus den zwei fachfremden Begriffen ‹gemeinschaftliches Eigentum› oder ‹sekundärer Raum› noch über die drei eigenen Definitionen, über den Eigentümer, über die Funktion oder als raumhaltige Grenze, lassen sich explizit architektonische Folgen ablesen. Der Begriff ‹halböffentlich› umschreibt also einen Raum, ohne seine Eigenschaften zu nennen. Warum ist der Begriff ‹halböffentlich› in der Verwendung dennoch grundsätzlich positiv konnotiert? Obwohl das Wort halb- generell eher mit minderwertigen Eigenschaften assoziiert wird, sind der ‹halböffentliche› und der ‹halbprivate› Raum als Begriff nicht negativ besetzt.
Vergleicht man den städtischen Raum mit der Natur, können wir in Bezug auf den ‹halböffentlichen› Raum folgende Parallele aufzeigen: Neben dem Wald und der Wiese gibt es den Waldrand oder die Streuobstwiese. Diese können zwar nicht dieselben Qualitäten und Eigenschaften aufweisen wie die freie Fläche und der dichte Wald, besitzen dafür aber die deutlich reichhaltigere Artenvielfalt. Wenden wir diese Gleichung auf den städtischen Raum an, können wir feststellen, dass auch im ‹halböffentlichen› Raum nicht alles möglich ist, was im Privaten oder Öffentlichen erlaubt und gängig ist. Dafür erlauben gute ‹halböffentliche› Räume Interaktionen und Tätigkeiten, die weder in der Öffentlichkeit noch in den privaten Wänden machbar sind. Diese Möglichkeitsvielfalt ist es, die den Begriff so weit anwendbar und das Konzept ‹halböffentlichen› Raumes für Architekten und Stadtplaner so attraktiv macht.
Kriterien guten ‹halböffentlichen› Raumes gibt es viele, das Wichtigste ist jedoch, dass uns ein guter Raum – ob öffentlich, ‹halböffentlich› oder privat – vermittelt, ob wir dort willkommen sind und wie wir uns Verhalten sollen. Gute ‹halböffentliche› Räume funktionieren ohne Verbotstafeln, Zäune und Videoüberwachung. Die soziale Kontrolle und die Übersichtlichkeit reichen aus um missliebiges Verhalten zu verhindern, die ausreichende Privatsphäre und Anonymität für Bewohner ist nicht desto trotz gewährleistet. Schwammige Zwischenräume, nicht gefasste Reststücke und leere Vorplätze müssen wir als Architekten und Stadtplaner vermeiden. Sie sind auch mit dem Begriff ‹halböffentlich› nicht schön zu reden.
Sarah Barth, 1987, hat ihr Studium der Architektur an der ETH Zürich im Jahr 2013 abgeschlossen. Sie forscht am Institut gta und ist praktizierende Architektin in Basel.