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2021
Interview im Echo der Zeit von Radio SRF, 13.03.2023
Wohnungsnot vs. CO2: «Es werden zu viele Gebäude abgerissen»
Bei der Diskussion um Wohnraum in der Schweiz geht oft vergessen, dass Bauen mit Beton das Klima stark belastet. Neubauten haben eine schlechte CO2-Bilanz. Die Baubranche müsse sich in Zeiten des Klimawandels neu erfinden, sagt Sarah Barth. Die Architektin ist Teil des Basler Kollektivs Countdown 2030, ein Verein, der sich für klimafreundliches Bauen eingesetzt.
Moderator Roger Brändlin: Alles spricht momentan von Wohnungsnot, die Schweiz brauche mehr Wohnraum. Was ist die Lösung? Mehr Bauen natürlich. Alte Häuser werden abgerissen um neue zu Bauen. Mit mehr Wohnungen drin. Und das möglichst schnell. Bei dieser Diskussion geht oft vergessen, dass vor Allem das Bauen mit Beton, das Klima stark belastet. Neubauten haben generell eine schlechte CO2-Bilanz. Die Baubranche müsse sich in Zeiten des Klimawandels neu erfinden, in der Schweiz würden viel zu viele Gebäude abgerissen. Diese Haltung vertritt die Basler Architektin Sarah Barth. Sie hat vor drei Jahren in Basel zusammen mit einer Gruppe Kolleginnen und Kollegen den Verein «Countdown 2030» gegründet, der sich für klimafreundliches Bauen einsetzt. Die aktuelle Diskussion über Wohnungsnot bereite ihr Sorgen, sagte mir die Architektin im Gespräch.
Sarah Barth: Diese Diskussion macht mir sehr Sorgen. Denn «Wohnungsnot», das klingt sehr alarmistisch. Und die Not rechtfertigt auch problematische Massnahmen, beispielsweise die Förderung von Ersatzneubauten oder den schnelleren und leichteren Abriss von Gebäuden. Aber auch die Schwächung von Denkmal und Naturschutz oder die Lockerung von Mietrecht. Gegenüber der Wohnungsnot haben wir jedoch eine Klimakrise. Und diese Klimakrise die hat eine sehr, sehr grosse Dimension die so gross ist, dass wir sie nicht einfach ausblenden dürfen in der aktuellen Debatte.
R.B. Tatsache ist: Es braucht schnell neue und auch günstige Wohnungen, weil auch die Mieten immer mehr steigen. Kann das auch klimafreundlich geschehen?
S.B. Eigentlich ist der Mangel an Wohnraum ein Verteilproblem. Der durchschnittliche Bewohner oder die durchschnittliche Bewohnerin in der Schweiz hat knapp 50 m2 Wohnraum zur Verfügung. Hingegen haben Personen über 65 im Durchschnitt über 70 m2 Wohnraum für sich. Es ist also vor Allem auch ein Wohnungsmangel für die jüngeren Bewohnerinnen und Bewohner.
R.B. Aber sie wollen damit sagen, wenn man klimafreundlich bauen will, dann bedeutet das in der Konsequenz auch, dass man auch mit weniger Wohnraum auskommen muss?
S.B. Selbst wenn wir eine Zehn-Millionen-Schweiz hätten, dann hätte immer noch jede Person die in der Schweiz wohnt, 41 m2 Wohnraum zur Verfügung, ohne dass wir eine einzige neue Wohnung bauen müssten. Dann hat man zu zweit eine über 80 m2 grosse Wohnung für sich. Dennoch ist es natürlich so, dass wir neuen oder anderen Wohnraum brauchen. An Orten wo vielleicht heute keine Wohnungen stehen Die Leute lassen sich nicht gleichmässig über die Schweiz verteilen. Es ist wichtig, wo die Arbeitsplätze sind, wo man wohnen möchte und viele weitere Aspekte.
R.B. Ich komme auf meine ursprüngliche Frage zurück: Wenn wir klimafreundlich bauen wollen, ohne dass wir neue Betonbauten machen: Wie soll das geschehen?
S.B. Ganz zentral für das klimafreundliche Bauen ist der Umbau. Das heisst die bestehenden Gebäude nicht Abreissen und auf der grünen Wiese, respektive in der leeren Baugrube ein neues Gebäude aufziehen. Sie haben vorhin den Beton angesprochen: Das ist ein grosser Treiber. Dort drin ist sehr viel Energie gespeichert, die sogenannte «Graue Energie». Die «Graue Energie» ist die Energie, die verwendet wird, um ein Produkt herzustellen. Heute können Gebäude eigentlich klimaneutral betrieben werden. Für die Heizung können wir beispielsweise Solarenergie nutzen und mit Photovoltaik Strom erzeugen. Für das Erstellen hingegen haben wir noch keine Lösung. Man kann heute ein Gebäude kaum klimaneutral erstellen. Das heisst der Umbau ist ein absolut entscheidender Schlüssel zur Klimaneutralität.
R.B. Könnte es sein, dass man irgendwann klimaneutral bauen kann und es jetzt eigentlich nur darum geht, darauf zu warten?
S.B. Das kann sein. Es ist aber auf jeden Fall so, dass wir aktuell an einem Punkt sind, wo wir heute reagieren müssen. Wir können nicht mehr länger warten! Wir steuern auf eine Klimakatastrophe zu und den Abbruch zu verhindern ist ein grosser Hebel. Zudem es ist ein grosser Hebel, den wir sofort anwenden können.
R.B. Wenn wir die bestehende Struktur weiterverwenden wollen, also Umbauen statt Neubauen, können Sie uns ein Beispiel machen wie das dann auch wirklich zu mehr Wohnraum führen kann?
S.B. Es gibt sehr gute Beispiele aus diesem Bereich: Ich möchte hier exemplarisch ein Krankenhaus in Basel hervorheben, welches in den 60er Jahren gebaut wurde. Der Abbruch war schon beschlossen und dann hat sich eine Gruppe zusammengetan um dieses Krankenhaus zu Wohnraum umgebaut. Heute sind dort 130 Wohnungen entstanden.
R.B. Was macht das mit einer Stadt? Wie sieht die Architektur aus, wenn man das konsequent weiterdenkt? Patch-work-architektur wie ein Flickenteppich?
S.B. Die Schweiz liebt es sehr sauber in ganz vielen Bereichen. Und ich glaube tatsächlich, dass wir neue Sehgewohnheiten lernen müssen. Wenn man hundert Jahre zurück denkt an die klassische Moderne, dann gab es damals auch einen grossen Wandel in der Ästhetik, im Ausdruck der Gebäude. Damals wurde erstmals der Beton verbreitet angewandt. Es gab vor der Moderne Probleme mit der Hygiene, auch damals war die Wohnungsnot ein ganz grosses Thema und es gab auch die Thematik der Industrie in unmittelbarer nähe zum Wohnen. Und heute haben wir einfach ganz andere Probleme. Wir haben mit diesem Klimawandel ein so dominantes Problem, dass wir nicht mit der bestehenden Ästhetik weiter machen können. Und ich würde das gar nicht als Verlust sehen. Ich denke es ist das Gegenteil. Diese neuen Probleme werden zu neuen gestalterischen Lösungen führen und das ist auch sehr spannend, sich als Architektin oder Architekt damit auseinander zu setzen.
R.B. Und warum machen das Architektinnen und Architekten nicht? Warum geschieht nicht mehr in diesem Bereich? Die Baubranche müsste umdenken, aber das geschieht nicht.
S.B. Das ganze System ist heute sehr stark auf Neubau eingerichtet. Die ganzen Normen entsprechen dem Neubau, die ganze Ausbildung ist in diesem Bereich. Auch Banken kennen die Finanzierung des Neubaus viel besser, sie wissen wie es funktioniert und es gibt dort einfach mehr Erfahrung. Und den Umbau, den muss man lernen. Und die Motivation ist natürlich sehr unterschiedlich, je nach dem mit wem man spricht. Bei den Architekten ist das Honorar häufig an die Bausumme geknüpft. Das heisst, wenn ein Gebäude teurer wird, verdient auch der Architekt mehr. Bei Umbau ist es jedoch so, dass die Planung im Verhältnis aufwändiger ist, der Bau jedoch im Verhältnis günstiger. Das heisst, es ist aus unser Berufsbranche gar nicht so attraktiv, einen Umbau vorzuschlagen. Es gibt Fehlanreize im System und diese müssen aktuell überarbeitet werden.
R.B. Was schlagen Sie vor?
S.B. In grösserem Kontext wäre eine CO2 Besteuerung natürlich sehr hilfreich, auch in anderen Bereichen als dem Bauen. Denn dies würde den Umbau gegenüber dem Neubau privilegieren. Alles was schon gebaut wäre müsste ja nicht noch mal besteuert werden, hingegen würde bei neuen Baustoffen eine CO2 Steuer anfallen. Das zweite, was sehr hilfreich wäre, wäre eine Verteuerung der Deponien. Diese sind ein grosses Problem: Wir haben in der Schweiz nicht genügen Deponien und es ist dennoch sehr günstig aktuell, Bauschutt abzuladen. Wenn dies teurer wäre, würde das auch den Abbruch verteuern.
Trudi Gerster
Meta von Salis
Iris von Rothen